Der in der griechischen Mythologie als unverwundbar und unbesiegbar geltende Achilles war ein begnadeter Wettläufer. So verwunderte es auch kaum, dass er sich auf die Einladung zu einem Wettrennen mit einer sehr alten Schildkröte einließ.
Achilles wusste, dass er um ein Vielfaches schneller war als die Schildkröte. Um das Rennen also ein wenig interessanter zu gestalten, gewährte Achilles der Schildkröte einen Vorsprung.
Dieser Leichtsinn erschütterte den Philosophen Zenon, der das ganze mitbekam. Warnend gab er Achilles zu bedenken:
“Achilles, gibst du der Schildkröte einen Vorsprung, so wirst du sie niemals wieder überholen können! Um die Schildkröte nämlich überholen zu können, musst du zuerst ihren Vorsprung aufholen. Doch in der Zeit, in der du das tust, hat die Schildkröte bereits einen neuen Vorsprung auf dich herausgeholt! Sicher, der Vorsprung wird diesmal kleiner sein, aber auch diesen musst du erst wieder aufholen! Jedes mal, wenn du den alten Vorsprung aufgeholt hast, hat die Schildkröte bereits einen neuen Vorsprung erlaufen, also kannst du sie niemals mehr einholen!”
Hat Achilles eine Chance, das Rennen gegen die Schildkröte zu gewinnen?
Lösung
Unsere Alltagserfahrung sagt uns, dass Achilles das Rennen gegen die Schildkröte gewinnen kann und das kann er auch tatsächlich. Aber wo liegt dann der Fehler in Zenons Überlegung?
Wo liegt der Denkfehler?
Die Schildkröte wird im Laufe des Rennens tatsächlich unendlich oft einen Vorsprung herauslaufen. Daraus kann man allerdings nicht schließen, dass die Summe dieser unendlich vielen Vorsprünge auch unendlich lang ist!
Gehen wir der Einfachheit halber einmal davon aus, dass Achilles doppelt so schnell wäre wie die Schildkröte. Außerdem gibt Achilles ihr den Vorsprung s_0 .
In der Zeit, in der Achilles diesen Anfangsvorsprung s_0 zurücklegt, ist die Schildkröte noch einmal die Hälfte des Anfangsvorsprungs, also \frac{s_0}{2} weiter gekommen, da sie ja genau halb so schnell läuft wie Achilles.
In der Zeit, in der Achilles den neuen Vorsprung \frac{s_0}{2} weitergelaufen ist, hat die Schildkröte nun wieder die Hälfte davon zurückgelegt, also \frac{s_0}{4} .
Das Ganze wiederholt sich nun tatsächlich unendlich oft.
Zählt man alle Vorsprünge zusammen, welche die Schildkröte über das ganze Rennen hat, erhalten wir
Wir müssen uns also überlegen, was 1+ \frac{1}{2} + \frac{1}{4} + \frac{1}{8} + \dots ergibt.
Dafür überlegen wir uns einfach, wie viele Pizzakartons wir für \left(1+ \frac{1}{2} + \frac{1}{4} + \frac{1}{8} + \dots \right) Pizzen benötigen würden.
Ein erster Pizzakarton wird natürlich sofort durch die 1 gefüllt. Wir beginnen also den zweiten Karton mit einer halben Pizza ( \frac{1}{2} ). Da der zweite Karton noch halb frei ist, passt auch die Viertelpizza ( \frac{1}{4} ) noch hinein. Jetzt ist also noch ein Viertel des zweiten Kartons frei, sodass wir auch die Achtelpizza ( \frac{1}{8} ) noch unterbekommen usw.
Selbst wenn wir unendlich vielen Pizzastücke haben, passen diese in zwei Pizzakartons! Es gilt:
Der Gesamtvorsprung der Schildkröte den die Schildkröte im gesamten Rennen bekommt, ist 2 \cdot s_0 , also das doppelte des Anfangsvorsprungs. Nach dieser Strecke wird sie vom doppelt so schnellen Achilles überholt.
Bemerkung:
Ist Achilles nun allgemein q-mal so schnell wie die Schildkröte, so ergibt sich der Gesamtvorsprung
\frac{s_0}{1-q}.
Um das zu sehen, benötigt man den Grenzwert der geometrischen Reihe
2 Antworten zu „Achilles und die Schildkröte (****)“
AZR
Ich finde, das ist eigentlich zu leicht zu für vier Sterne. Zumindest verglichen, zum Beispiel, mit dem Weinrätsel. Man muss eigentlich keine Berechnung durchführen.
Zelios’ Denkfehler lässt meiner Meinung nach auch anders beschreiben: Obwohl er anerkennt, dass Achilles und die Schildkröte in unterschiedlicher Geschwindigkeit laufen, geht er davon aus, dass Achilles keine andere Strecke in der gleichen Zeit läuft, als die Schildkröte erreicht hatte. Das ist denklogisch falsch.
Er nimmt sozusagen die Aussage, dass Achilles zunächst den Vorsprung erlaufen muss wörtlich. So als würde er in Wahrheit mehrere kleine Rennen laufen und dabei jeweils nur bis zu dem Punkt laufen, den die Schildkröte zu Beginn des Rennens erlaufen hatte.
Damit konvergierte (korrigiere mich gern, wenn ich das falsch ausdrücke) ihr Vorsprung gegen 0, die Distanz, die Achilles läuft aber auch. Wenn das so wäre, könnte er die Schildkröte natürlich nicht einholen.
Nur ist diese Prämisse schlicht falsch, weil Achilles eben nicht nur bis zum Vorsprung-Punkt läuft, sondern von Anfang an auf das Ziel zu. Wenn er also den Punkt erreicht hat, den die Schildkröte zu Beginn des Rennens erreicht hatte, setzt er sich nicht einen neuen Zielpunkt, sondern behält den von Anfang an gegebenen bei.
Der Vorsprung der Schildkröte verringert sich also, seine gelaufene Distanz aber nicht.
Bei der Schwierigkeitsbewertung hast du Recht, der Schwierigkeitsgrad kommt primär bei einer quantitativen Betrachtung zum Vorschein.
Dein Argument kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen. Wenn man so will, laufen die beiden ja tatsächlich unendlich viele Rennen. Allerdings kann man diese unendlich vielen Rennen durchaus auch in endlicher Zeit laufen. Das ist wie mit dem Pizza-Beispiel: Nur weil du unendlich viele Stücke (oder Teil-Renndauern) hast, hast du dennoch nicht automatisch unendlich viel Pizza! Das heißt das Einholen kann trotzdem nach endlicher Zeit stattfinden (und tut es natürlich auch). Sowohl die von beiden gelaufene Distanz als auch ihr Abstand verringern sich.
Man kann die Situation auch umgekehrt betrachten, was vielleicht etwas intuitiver ist. Die beiden laufen das Rennen über die volle Distanz. Nun wird das Rennen (um Verwirrung zu stiften) künstlich in unendlich viele Teilrennen zerlegt. Achilles und die Schildkröte bekommen davon nichts mit.
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